Google würde grün wählen. Und Du?

von dermusikpartisane

Bevor der Musikpartisane in den Ragemodus schaltet, möchte er dieses kleine Fundstück teilen, das ihm neulich beim Abnetzen ins Auge stach:

„Any significant impairment of our intellectual property rights could harm our business and our ability to compete. Also, protecting our intellectual property rights is costly and time consuming. Any increase in the unauthorized use of our intellectual property could make it more expensive to do business and harm our operating results.“

Für alle ohne Immatrikulationshintergrund: eine Einschränkung der Urheberrechte schadet dem Geschäftsmodell, Take-Down-Notices sind kostspielig und zeitaufwendig und unautorisierte Nutzung von geistigem Eigentum schlägt sich in schlechten Jahreszahlen nieder. Und das alles, ohne auch nur einmal das böse P-Wort in den Mund zu nehmen. Welcher Vollstrahler von Künstler oder Verwerter hat das in die Welt gesetzt? You won’t fucking belive it: Google!

Google wäre ein Nichts, wenn es kein Patent auf dem PageRank-Algorithmus ihrer Suchmaschine besitzen würde. Geistiges Eigentum spielt eine zentrale Rolle in Googles Geschäftsmodell, wie der Form 10-K Jahresbericht an die amerikanische Aufsichtsbehörde für den Wertpapierhandel bestätigt. Für deren Verteidigung wird auch gerne mal schmutzig gespielt, wenn es dem eigenen Geschäft nützt. So schickt Google gegen Apples Push-Email-Feature der deutschen iCloud ein Bogus-Patent ins Rennen. Gerne werden auch mal deutsche Richter als Gutachter bezahlt (350€ die Stunde), die an einem Gericht arbeiten, an dem häufig Google betreffende Patentklagen verhandelt werden. Überhaupt darf man nun das von Google erworbene Motorola mit gutem Recht Patent-Troll nennen. Und mit einem anderen notorischen Patent-Troll, Soverain Software, teilt sich Google die Anwaltskanzlei Quinn Emanuel, welche für die Suchgiganten die erste Wahl in Patentstreitigkeiten ist.

Das ist das Back-End von Googles Maschinenpark: knallharte Durchsetzung des eigenen geistigen Eigentums, scheiß auf die Eltern bei den Urheberrechten von Künstlern (nur mal so grob: Google Books, YouTube, Google-Profite durch Werbung auf Piraterieseiten). Am Front-End spielt Google hingegen die Komödie der Offenheit, Transparenz und Netzneutralität. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil Google in den Staaten eine innige Forever-Together-Beziehung mit einem Haufen NGOs, Netzaktivisten und Non-Profit-Unternehmen pflegt, die sich mit dem Graswurzelmäntelchen der Bürgerrechte kleiden und die Peer-to-Peer-Sharing-Open-Source-Romantik eines freien Internets jenseits von Kommerz und gierigen Mediengiganten teilen. Nur mal so als Beispiel:

  • Electronic Frontier Foundation: die 1990 von John Perry Barlow („I come from Cyberspace, the new home of Mind“) gegründete NGO für den Schutz informationeller Grundrechte erhielt 2011 von Google 1 Millionen Dollar, andere Quellen sprechen von fast 200000 Dollar in der Zeit davor. Florian Müller bemerkt, dass die EFF sich in Verbraucherfragen gerne einmal gegen Google stellt, geht es aber um Google vs. andere Unternehmen, schlägt sich die NGO auf die Seite von Google oder verbleibt in vielsagendem Schweigen.
  • Wikimedia Foundation: Die Organisation hinter Wikipedia erhielt 2 Millionen Dollar von Google und 500000 Dollar von der Brin-Wojciki Foundation. Googles Suchalgorithmus begünstigt Wikipedia und verhindert einen fairen Wettbewerb mit anderen Online-Enzyklopädien. Bei Wikipedias Teilnahme am „Internet Blackout“ 2012 wurde die Plattform für politische Anliegen instrumentalisiert, was deutlich dem eigenen Anspruch auf Neutralität widersprach.
  • Creative Commons: Googles feuchter Traum ginge in Erfüllung, wenn alle Inhalte im Netz mit Creative-Commons-Lizenzen versehen wären, denn dann ließen sich Inhalte viel leichter in Werbedollars ummünzen und Google müsste sich nicht mehr mit zickigen Urhebern von Büchern oder Musik herumschlagen. 2008 bekam Creative Commons von Google einen Scheck über 1,5 Millionen Dollar. Im gleichen Jahr spendeten Sergey Brin und seine Frau 500000 Dollar an Creative Commons. Sergey Brins Schwiegermutter Esther Wojcicki hat den Vize-Vorsitz des Aufsichtsrats von Creative Commons inne.
  • Mozilla Foundation: Die Entwickler des freien Webbrowser Firefox erhalten fast ihr ganzes Budget von Google, momentan 300 Million Dollar jährlich, im Gegenzug bekommt Google die Pole-Position als Default Search Engine. Die Mozilla Foundation beschreibt sich als Non-Profit Organisation, die sich für Offenheit, Innovation und Teilhabe im Internet einsetzt.
  • New America Foundation: Ein Think Tank und Institut, das viele Stipendien vergibt und ein breites Themenspektrum beackert. Google gehört zu den regelmäßigen Unterstützern, dem Board of Directors sitzt außerdem Eric Schmidt von Google vor, der 2011 gemeinsam mit seiner Frau über eine Millionen Dollar spendete.

Nun, keiner wird behaupten, dass die vielen fleißigen Mitarbeiter dieser Organisationen auf der Gehaltsliste von Google stehen und roboterhaft Texte aus Mountain View nachbeten. Es gibt viele Stimmen aus diesem Lager, die sich kritisch zu Fragen um Googles Umgang mit Anonymität und Datenschutz im Netz äußern. Immerhin ist selbst Evgeny Morozov ein Fellow der New America Foundation. Was Google mit den geturften Organisationen vielmehr gemein hat, ist das Mantra, das sie alle anstimmen:  Urheberrechte behindern im Internet den freien Fluss von Informationen, hemmen Innovationen und bedrohen die Meinungsfreiheit. Denn die Durchsetzung von Urheberrechten, so dass Hohelied der Netzneutralität, ist nur mit allumfassender staatlicher Überwachung und Zensur zu haben.

Dass dieser Ohrenbluter auch in Deutschland im Endlos-Loop läuft, ist keine Überraschung. Zeit, dass man sich austauscht und voneinander lernt. Schaut auf dieses Bild:

Gigi Sohn, Jeanette Hofmann, Markus Beckedahl & Konstantin von NotzJeanette Hofmann, Markus Beckedahl & Konstantin von Notz

Heilige WTF?-ness, sind das nicht einige der bekanntesten grünen SwagYoloHipster aus der IT-Versteher-Fraktion? Und in der Tat, von rechts nach links: Konstantin von Notz aus Münzmallorca, innen- und netzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, außerdem Netzgemeinden-Klassensprecher Markus Beckedahl, Vorsitzender der Digitalen Gesellschaft, Gründer von netzpolitik.org und Public Project Lead bei Creative Commons Deutschland, sowie Jeanny Google Hofmann, eine der Direktorinnen des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft. Und verdammte OMG!-ness, alle drei sprechen hier vor eben der New America Foundation. Moderiert wird das Panel von Gigi Sohn, Direktorin von Public Knowledge, in dessen Board of Directors der obligatorische ehemalige Google-Mitarbeiter sitzt. Gigi Sohn glaubt übrigens nicht, dass Urheberrechte eine längere Schutzfrist als 14 Jahre verdienen.

Um voneinander zu lernen und sich gegenseitig in der Mission für die gute Sache zu bestätigen, haben unsere grünen SwagYoloHipster letztes Jahr eine Klassenfahrt ins heilige Digitalien der unbegrenzten Möglichkeiten unternommen, veranstaltet von der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung, and you won’t fucking believe it: das Reiseprogramm bestand aus Besuchen bei exakt den Organisationen aus obiger Liste, mit dem krönenden Abschluss einer Audienz im Googleplex selber! (Reisebericht in diesem Podcast)

Awkward! Aber hey: wayne interessierts, wenn ein paar grüne Ottos im Silicon Valley amerikanischen Quellcode schnüffeln? Die Antwort ist: bist du Künstler, sollte es dich interessieren. Es sollte dich sogar brennend interessieren. Denn Netzpolitik ist auch Kulturpolitik. Die Netzpolitik entscheidet, wie du in Zukunft dein Geld verdienst. Die Netzpolitik entscheidet, wie in Zukunft mit deinen Werken umgegangen wird. Die Netzpolitik entscheidet, wie du dich in Zukunft mit anderen Künstlern gegen die Ausbeutung durch monopolistische Unternehmen wehren kannst. Wenn du das gestrahlt hast, dann wirf einen zweiten Blick auf die Grünen.

Für dich, wie für viele Künstler, waren die Grünen immer eine politische Heimat, und auch der Musikpartisane hat, seit er denken kann, immer grün gewählt. Vergessen wir mal, dass der  grüne Minister Michael Vesper in NRW  unter Rot-Grün von 1995 bis 2005 breitbeinig den Kulturbereich zusammengekürzt hat. Vergessen wir mal, dass die grüne baden-württembergische Ministerin Theresia Bauer ein paar Musikschulen zum Systemabsturz bringt, um das gewonnene Geld dann in irgendeine Studienberatung zu stecken. Vergessen wir mal, dass die Grünen die Neufassung des Urhebervertragsrechts 2002 mitgetragen haben, das nach massivem Druck von Verlegerseite zu Ungunsten der Urheber aufgeweicht wurde. Das wollen die Grünen jetzt im Sinne der Urheber wieder etwas aufpimpen, womit nur die bittere Pille versüßt werden soll, die du als Künstler zu schlucken hast: im Netz sind deine Rechte nicht durchsetztbar, komm klar damit!

Sinngemäß ist das genau, was Claudia Roths parlamentarischer Mitarbeiter Reinhard Olschanski während der internen Richtungskämpfe zwischen grünen Kulturpolitikern und Netzfreiheitskämpfern sagte: die Künstler müssen halt sehen, wo sie bleiben, die Grünen singen jetzt das Hohelied der Netzneutralität. Überhaupt Zornröschen Claudia Roth: weil sie ja mal als Groupie mit den Ton Steine Scherben zusammen gefrühstückt hat, ist sie in kulturpolitischen Fragen das grüne Gehirnkraftwerk. In ihrer Hand laufen die netzpolitischen Fäden der Grünen zusammen. Stubenpanzer Malte Spitz zum Beispiel, der die Wallfahrt ins amerikanische Graswurzelparadies organisiert und begleitet hat. Der zu verantworten hat, dass nach wie vor die gehirnamputierten GEMA-Thesen einer gewissen Zoe.Leela auf der Homepage der Grünen zu finden sind. Oder Konstantin von Notz aus Münzmallorca, der zum „Dauerärgernis GEMA“ meint, dass es „keine Denkverbote hinsichtlich eines Infragestellen des bestehenden gesetzlichen Rahmens für Verwertungsgesellschaften geben“ darf. Akk, armer Künstler, das mag dir ein Bild davon geben, wie du dich in Zukunft kollektiv organisieren darfst, wenn die grünen Nachwuchspolitiker erst die Staatssekretärsposten inne haben, von denen sie heute nachts so träumen.

Aber warte: die Grünen haben ja die Kulturflatrate! Das grüne Herz möchte die saftigen Wiesen der File-Sharing-Biotope abweiden, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Voila, hier ist es, unser Demetersiegel für schuldbefreites Saugen: die Fairness-Pauschale. Nur schade, dass ein von den Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten die Kulturflatrate (pdf) als bürokratisch, ungerecht und nicht-verfassungskonform entlarvt. Aber das scheint bei den SwagYoloHipstern unter den grünen Netzpolitikern noch nicht ganz angekommen zu sein, die weiterhin davon schwadronieren, eine Kulturflatrate zu prüfen. Die Fairness-Pauschale ist immer noch auf den Webseiten der Grünen zu finden. Warte: wer macht eigentlich noch mal die IT bei den Grünen? Richtisch: Newthinking Communications, mitbegründet vom Netzgemeinden-Klassensprecher Markus Beckedahl. Dazu gehören die Seiten von Grüne-Berlin.de, Renate Künast, das grüne Content Management System und das grüne Mitglieder-Netzwerk Wurzelwerk. Newthinking Communications betreute auch den Online-Wahlkampf von Bündnis90/Grüne zur Abgeordnetenhauswahlen in Berlin 2011. Fair Enough.

Dass Markus Beckedahls Blog netzpolitik.org über Jahre hinweg in offener Feindseligkeit gegenüber Künstlern argumentiert hat, lieber Anon-Videos postet als Urhebern zuhört und die Kreativbranche immer wieder als einen unterkomplexen Haufen geldgeiler Säcke verzerrt – Schwamm drüber. Dass ihm als oberster Trollschützer in seinem Blog das Niveaulimbo der Kommentare irgendwann selber auf den Geist ging, ehrt ihn. Den Grünen müsste aber immerhin eines peinlich sein: das Niveaulimbo von Markus Beckedahls Ex-Freundin Julia Seeliger, die von 2006 bis 2008 im grünen Parteirat saß (beide sprechen hier und hier vor der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen 2009). Stressbombe Julia Seeliger, die auf der grünen Webseite prominent mit einem Appell „Schluss mit Frösche retten und ran an die Computer!“ vertreten ist, warf Beckedahl im Zuge der #Aufschrei-Debatte vor, sie vergewaltigt zu haben. Beckedahl wehrte sich gegen den Vorwurf zu Recht mit einem Anwalt – offensichtlich war Seeliger sauer, in der Penisparade von Beckedahls Digitalen Gesellschaft („einem Greenpeace für das Internet“) keine Aufnahme zu finden. Inzwischen soll sie aus den Grünen ausgetreten sein.

Was nicht heißt, dass das kulturpolitische Resthäufchen innerhalb der Grünen sich jetzt ausruhen kann. Für das Mobbing von Künstlern ist schließlich der Übertroll Tobias Schwarz aka Der Isarmatrose zuständig, der unter dem Zoe.Leela-Artikel auf der Grünen-Seite kritischen Urhebern zurief, „ dass hier Menschen ohne Positionen, vom Rand der Gesellschaft her, streiten.“ Yo yo, Künstler, die Aussenseitermeinung einer völlig unbedeutenden Musikerin zählt bei den Grünen mehr als die von Mitgliedern einer Verwertungsgesellschaft, die immerhin über 60000 Autoren vertritt. Der selbe Übertroll Tobias Schwarz, der übrigens auch zahllose grüne Twitter- und Facebook-Accounts bespielen darf, ist sich nicht zu schade, als Fellow für das von Google finanzierte Co:llaboratory zu arbeiten. Das Co:llaboratory ist nichts weiter als ein potemkinsches Dorf, mit dem die Meinung der digitalen Öffentlichkeit zu Gunsten Googles beeinflusst werden soll. Abschlussberichte werden autoritär und intransparent von einer Leitungsgruppe verfasst, aber als Multistakeholder-Prozess verkauft.

Der Ober-Babo unter den grünen Netzköpfen ist hingegen zweifelsohne Jeanette Hofmann aka Jeanny Google Hofmann, die ihr Career-Academic-Auskommen inzwischen als eine der Direktorinnen des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft direkt von Google bezieht. Die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt seit langem ihre Forschungen. Beim grünen Urheberkongress 2012 durfte sie – Küsschen links und Küsschen rechts von Claudia Roth und Renate Künast, man kennt sich – die bedeutungsschwere Frage stellen, ob es nicht auch künstlerische Bereiche gibt, in denen keine urheberrechtlichen Regelungen benötigt werden und Teilen nicht auch eine Alternative sein kann. Sie fragt nicht, was das Urheberrecht für Künstler tut, viel lieber fragt sie, ob wir es denn überhaupt so in der Form brauchen. Und die grüne Kongregation nickt busfahrerhaft.

Das, lieber Künstler, ist die grüne Hölle der IT-Versteher. Der Dezibel-Pegel der Shirky-Jarvis-Lessig-Anderson-Kelly-Folklore aus Kleinbloggershausen übertönt inzwischen jede moderate Stimme im grünen Outernet. Die plastifizierte Web2.0-Ideologie der Freiheit, Offenheit, Transparenz, Disruption und Demokratisierung im Cyberspace ist bei den Grünen bestens aufgehoben. Wen kümmert die Piratenpartei, die Revolutionsbesoffenheit der Netzgemeinde findet im moralischen Überlegenheitsgefühl des grünen Milieus ihre natürliche Heimat. Jede Kritik am Glaubensprogramm sich selbst promotender Netzevangelisten wird flugs als Ludditentum und regressive Ahnungslosigkeit von Internetausdruckern abgetan. Und das ist vielleicht der größte Selbstbetrug der Netzgemeinde: sich umstellt zu fühlen von anti-amerikanischen Technikverweigerern und konservativen Überwachungsfanatikern, die es einfach nicht rallen, wie geil das Internet ist. Dieser Strohmann ist inzwischen so groß und fett, dass er selbst den von Verwerterseite aufgebauten Strohmann der digitalen Umsonstkultur in den Schatten stellt.

Das besinnungslose Feuern auf diesen Strohmann hat vor allem eines hinterlassen: Entfremdung und Misstrauen. Picture this: es gab mal eine Zeit, da waren wir alle ein großer Treck auf dem Weg in Richtung Westen, den Planwagen vollgestopft mit utopischen Versprechungen einer besseren digitalen Welt. Ohne Major-Kommerz und Drecksverträgen mit schmierigen Labelbossen, mit grenzenloser Reichweite zu den Fans und unabhängigem Vertrieb. File Sharing war ein unschuldiger Spass – mein Gott, haben wir uns die Taschen vollgestopft. Nur irgendwann auf dem Weg ging uns die Euphorie verloren und anstelle der vagen Utopie trat Ernüchterung und Zweifel. Zweifel über neue strukturelle Ungerechtigkeiten und Abhängigkeiten, Zweifel an der Umdeutung von Musik in Information, Zweifel an der Denunziation von Künstlern als fleißige Fabrikanten von Bewusstseinsbrocken.

Einige Planwagen preschten jedoch besinnungslos weiter in Richtung des ersehnten Digitalien. Irgendwann nannte man sie einfach Netzgemeinde. Hier feierte man Peer-to-Peer-Netzwerke als ultimative Vertriebssysteme für Musiker, während wir hilflos dabei zusahen, wie Kim Schmitz sich die Taschen voll stopfte. Hier feierte man Rechtsprofessoren mit virtuosen Keynote-Präsentationen als Popstars, während wir vergeblich versuchten zu erklären, dass nicht alles in der Welt ein Remix ist. Hier feierte man die Proteste gegen ACTA als eine neue Form des digitalen Widerstands, während wir uns fragten, ob die Kids auf den Demonstrationen wirklich glaubten, Kochrezepte würden ab sofort urheberrechtlich geschützt. Dieser größte Erfolg der Netzgemeinde, die massenhafte Mobilisierung junger Menschen gegen ACTA, schreibt Sascha Lobo vor allem einem viralen Video der YouTube-Lords von Y-Titty zu, die darin geldgeile Bosse von Major-Labeln persiflieren. Ein Jahr später haben die Jungs von Y-Titty einen Deal mit dem größten aller Major-Labels, Universal Music, abgeschlossen, aber kein Schwein will mehr gegen das Leistungsschutzrecht für Presseverlage demonstrieren. Oder gegen die Datenschnüffelei von NSA und GCHQ.

Und warum? Weil das Friendly Fire der Netzgemeinde jahrelang auf die potentiellen Verbündeten, auf Künstler, Gewerkschafter und gemeinnützige Organisationen im eigenen links-liberalen Milieu niedergegangen ist. Weil die avantgardistische Überheblichkeit und das technische Besserwissertum der Netzgemeinde den Rest der Gesellschaft von ihr entfremdet hat (wer dafuq will auf eine Demo zu den Ludolfs von „Freiheit statt Angst„?). Weil die Netzgemeinde die Erosion des Privaten und den Tausch persönlicher Daten gegen kostenlose Online-Dienste so lange verharmlost hat, bis jegliches Skandalierungspotential aufgebraucht war. Weil sich Teile der Netzgemeinde gerne ein antikapitalistisches Mäntelchen umhängen, sich dann aber die digitalen Pflugscharen für den kommenden Aufstand von monopolistischen Netzgiganten wie Google schmieden lassen.

Jetzt fragst du dich also, ratloser Künstler, was du tun würdest, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären. Vielleicht solltest du dich fragen, was Google tun würde? Google würde grün wählen. Und Du?

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Nachtrag:

Lasst den Musikpartisanen eines klarstellen: Er hat nichts gegen Wikipedia. Ganz und gar nicht. Nur eines: Wikipedia erzeugt kein eigenes Wissen, keine selbstständige Forschung. Wikipedia ist vollständig abhängig von Inhalten, die außerhalb von Wikipedia von anderen Organisationen – Zeitungen, Universitäten, Online-Medien – generiert werden. Der Musikpartisane hat auch nichts gegen Creative Commons. Ganz und gar nicht. Er findet Creative Commons sogar gut. Nur eines: Creative Commons ist kein Modell, um professionelle Inhalte zu finanzieren. Das wird es nie sein. Der Versuch, Creative Commons Lizenzen auf professionelle Inhalte anzuwenden, wird die Verhandlungsposition von Urhebern schwächen und den Wert ihrer Werke untergraben. Der Musikpartisane hat auch nichts gegen Bürgerrechtsbewegungen für Datenschutz und Netzneutralität. Ganz und gar nicht. Nur eines: wer sich als Graswurzelwerker gegen die Kommerzialisierung des Netzes stellt, sollte tunlichst vermeiden, sich Geld von IT-Giganten zuschieben zu lassen.