Nun macht euch mal nicht selbst zum Obst, ihr Software-Autoren!

von dermusikpartisane

„Damn it, diese ganzen Untertagearbeiter aus dem HTML-Steinbruch sind also auch alle Urheber“, müssen sich die Tatort-Autoren gedacht haben, als sie die Antwort auf ihren offenen Brief vom Chaos Computer Club lasen. Die sind sogar „Berufs-Urheber“, nämlich „Programmierer, Hacker, Gestalter, Musiker, Autoren von Büchern und Artikeln,“ die „bringen gar eigene Zeitungen, Blogs und Podcasts heraus.“ Schade nur, dass sich keiner der „Berufs-Urheber“ vom CCC auch öffentlich dazu bekennt, einer zu sein: im Gegensatz zu den Tatort-Autoren bleiben die 51 Hacker anonym. Wie feige ist das denn? Man hätte sich dann vielleicht mal genauer anschauen können, was denn die 51 Hacker so im Detail tatsächlich treiben – wie bei den 101 Piraten, die auch in schöner Regelmäßigkeit behaupteten, Urheber zu sein, in Wirklichkeit aber fast ausnahmslos als Hobbykünstler dilletieren oder eben Softwareprogrammierer sind. Dass die 51 Hacker vor allem mit Software ihren Lebensunterhalt verdienen, wird spätestens im 4. und 5. Absatz des CCC-Briefs klar:

Für Software gibt es keine Verwertungsgesellschaften, mangels historischen Präzedenzfalls. Wenn Ihr Euch mal umschaut, werdet Ihr sehen, daß auch kein einziger von uns Software-Autoren eine GEMA für Software fordert.

Was die 51 Hacker uns also sagen wollen, ist vor allem eines: Programmierer sind auch Urheber. Fuck yeah: großartig, wir finden euch auch total kreativ! Das Problem beginnt, wenn ihr allen anderen Urhebern kluge Ratschläge durch eure rosarote IT-Brille geben wollt. Ihr fordert keine Gema für Software, weil ihr schon längst wisst, dass dieses Modell keine Zukunft mehr hat. Nun macht euch mal nicht selbst zum Obst: glaubt ihr wirklich, eine Verwertungsgesellschaft für Software ließe sich in der Praxis realisieren, wäre also eine wenn auch nur theoretische Option? Schon mal was von Interoperabilität von Software gehört? Der hohen Rate von Code-Weiterverwendung? Oder den ganz unterschiedlichen Verwertungsrechten, die für Computerprogramme gelten? Für Software wird es nie eine Verwertungsgesellschaft geben, weil Code etwas anderes ist als ein künstlerisches Werk oder auch eine wissenschaftliche Arbeit. Es ist ein rhetorischer Trick, von Software-Autoren und einer möglichen Code-Gema zu reden, um diesen entscheidenden strukturellen Unterschied zwischen einer Programmzeile und – setze wahlweise ein – einem Gedicht, einer Melodie oder einer Radierung zu verschleiern. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass euer Code im Urheberrecht als literarisches Sprachwerk geschützt ist. Oder wollt ihr etwa die Kassette einschieben, dass irgendjemand euren Quellcode liest und daraus ästhetischen Genuss zieht?

Um das mal zu verdeutschen: als Computerprogramme in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu einem potentiellen Schutzgegenstand wurden, haben die Herren Urheberrechtler, Patentfuzzis und IT-Hustler keinen Plan gehabt, in welche Schublade sie die Software packen sollen. Irgendwann haben die Gimps dann gedacht: naja, Software besteht ja aus ner Programmiersprache und da ist dieser Quellcode, iss ja auch irgendwie Text, also muss es ja ein Sprachwerk sein. In Deutschland haben die obersmarten Urheberrechtler sich gedacht, sie knoten an diese Einladung ins Urheberrecht zumindest einen mittelschweren Klotz namens Schöpfungshöhe als Handicap, damit nicht gleich die ganze Hochliteratur von einer Fülle unentzifferbarer ASCII-Werke geflutet wird. Was dazu führte, dass selbst ein großes Unternehmen aus Richmond mit seinem bahnbrechenden Betriebssystem an dieser Hürde scheiterte. Nach der üblichen Lobbyarbeit von Seiten der Computerindustrie wurde 1991 die europäische Gesetzgebung zum urheberrechtlichen Schutz von Software harmonisiert und seitdem gelten auch einfache Computerprogramme in Deutschland als Sprachwerke. Aber es wurden eine ganze Reihe von Sonderbestimmungen für Software geschaffen, die Code zum Freak im Reich der urheberrechtlich geschützten Werke machen – remember: Schutzgegenstand im deutschen Urheberrecht sind Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst.

Don’t get me wrong: das Urheberrecht funktioniert in der Praxis ganz okay für Software. Der Grund, warum Software im Urheberrecht ein ‚Fremdkörper‘ bleibt, ist die Tatsache, dass sie sich auch (aber nicht immer) patentieren lässt. Wir alle hassen Softwarepatente, das ist nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass es Softwarepatenten, man kann sie auch ‚computerimplementierte Erfindungen‘ nennen, z. B. im Bereich der Steuerungs- und Regelungstechnik gibt, die durchaus einen Patentschutz verdienen (siehe z. B. Matthias Leistner in: „Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel?“, 2008, Seite 198). Auch wenn ihr es nicht hören wollt: ihr könnt euch in vielen Fällen zwischen gewerblichen Schutzrechten für Software oder dem Urheberrecht für ein Werk der Literatur entscheiden. Das ihr euch in den allermeisten Fällen für letzteres entscheidet, liegt daran, dass das Urheberrecht euch völlig kostenlos und ohne jeglichen Aufwand zufällt und die viel praktikablere Lösung darstellt. Nun erklärt uns aber, welcher Komponist, Literat, Filmemacher oder bildende Künstler ein Patent auf sein Werk anmelden kann?

Es ist ein klassischer Kategorienfehler, den Software-Autoren mit dem Tatort-Autoren gleichzusetzen und damit Code mit künstlerischen Werk. In der Begründung zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes von 1992, also die oben beschriebene Anpassung an die europäische Norm, wird bemerkt:

Einer der wesentlichen Unterschiede ist, daß ein Computerprogramm als Industrieprodukt darauf angelegt ist, mit anderen Elementen eines Datenverarbeitungssystems zusammenzuarbeiten; es muß kompatibel sein. Weiterhin erschließt sich Dritten der Inhalt eines Computerprogramms nicht ohne weiteres. Ein Buch kann jeder lesen, einen Film jeder sehen, eine Schallplatte jeder hören, ein Kunstwerk jeder betrachten. Anhand des Datenträgers lassen sich Arbeitsweise und Funktion eines Programms nicht ohne weiteres ermitteln.

Klingt schön oldschool, ist aber im Kern richtig: Software hat gänzlich andere Bedingungen der Entstehung, Verbreitung und Verwertung. Um in euren Kategorien zu bleiben: wenn ich als Musiker einen Song rausbringe, lege ich meinen Quellcode offen und selbst der letzte Honk schafft es, ihn zu kopieren – wenn ihr Software veröffentlicht, könnt ihr abhängig von der Programmiersprache euren Quellcode von mittelmäßig bis sehr gut schützen und es braucht einen Pwner, um ihn zu knacken. Open Source Software ist eine wunderbare Sache und funktioniert heute auch schon unter kommerziellen Gesichtspunkten, aber nennt mir ein künstlerisches Werk, dass unter Mitwirkung von – sagen wir – 50 gleichberechtigten Urhebern entstanden ist und nicht in Tofu endete. Oder die immer wiederkehrenden Empfehlungen, doch mit knappen Gütern sein Geld zu verdienen und seine Inhalte als Visitenkarte zu verschenken: klar, bei Server- und Contentmanagement und in der Softwareentwicklung werden 80% der  Marktumsätze mit Servicedienstleistungen und nur 20% mit Lizenzgebühren verdient. Aber wie kommt ihr auf die Idee, euren ökonomischen Alltag zum Maßstab für alle anderen zu machen? Radikale Verkürzungen der Schutzfristen würden gerade im Softwarebereich großen Sinn machen,  wegen der Schnelligkeit der Innovationsprozesse und der kurzen Vermarktungszyklen – nur ticken die Erfolgsschleifen von Autoren und Künstlern gänzlich anders und meistens viel langsamer. Warum wollt ihr also euren IT-Way-Of-Life allen anderen im Urheberrecht zusammengefassten Berufsgruppen aufdrücken, ohne einen blassen Schimmer von deren Situation zu haben? RTFM! Schaut euch genau an, was die anderen Urheber so treiben. Schon die Unterstellung, dass einige der Tatort-Autoren Festverträge hätten, ist ziemlich klinke. Und euer Hinweis, dass wir ja alle irgendwie Tagelöhner im Hochofen des Gedankenkapitalismus seien –  Danke dafür. Aber keiner lässt sich gerne bevormunden von einer besserwisserischen Schnöseleria.